Mit der Eröffnung seiner nächsten Ausstellung, am 19. August 2021 im Projektraum O P E N in Berlins Wedding, vollendet Gerd Rohling unter dem Titel HAUPTSACHE WARM ein Projekt, das bereits seit zwei Jahrzehnten in den Arsenalen seiner künstlerischen Aktions-Ideen schlummerte.
Unter der Vielzahl künstlerischer Kräfte, die in der Stadt Berlin arbeiten, zählt Gerd Rohling zweifelsohne zu den außergewöhnlichsten. Seit nunmehr genau 50 Jahren agiert der 1946 in Krefeld geborene Künstler von seiner Homebase aus, seinem Bezirk Wedding, in dem seine Kunst, in dem seine weltweiten Projekte erdacht werden und entstehen.
Das 50jährige „Wedding-Jubiläum“ nimmt Gerd Rohling nun zum Anlass, ein bereits 1997 in einer ersten Phase begonnenes Kunst-Projekt zu vollenden. Rohling schlug sein Atelier 1971 in einem alten ziegelsteinernen Fabrikgebäude an der Prinzenallee 34/35 im Wedding auf. Im Zuge der Wandlungen der Stadt wurde dieses Gebäude 1997 zum Abriss freigegeben und von Abrissbaggern dem Erdboden gleichgemacht, um Neuem Platz zu geben. Rohling musste sich dem Geschehen fügen und fand an anderer Stelle im Bezirk sein neues Domizil. Allerdings sicherte er sich eine zentrale Reliquie seiner der Zerstörung anheimgegebenen früheren Heimstatt, indem er den sichtbaren Teil des aus roten Backsteinen gefügten Schornsteins des Gebäudes demontierte und in seine Obhut brachte. „Wenn der Glaube im Allgemeinen Berge versetzen kann, warum dann der Glaube an die Kunst nicht einen Backsteinkamin“, war Rohlings Überlegung.
24 Jahre hat es gedauert, bis die 1997 begonnene Aktion Rohlings nun ihren sinnvollen Abschluss finden konnte. An der Prinzenallee 34/35 steht längst ein nicht mehr allzu neuer Neubau, und Rohling hat die vom dort heute in der Nummer 35 angesiedelten Projektraum O P E N ausgesprochene Einladung zu einer Ausstellung genutzt, um den Schornstein an seine alte Adresse, in seine Heimat zurückzutragen. So zumindest das Versprechen des Künstlers: „Ich bringe Dich dorthin, zu Deiner alten Adresse, und stelle Dich auf einen hohen Sockel. Es wird Frühling sein und niemand frieren.“ (Zumindest letzteres konnte Corona nicht ändern.)
Die Idee des „Zurücktragens“ muss in ihrem wörtlichen Sinne verstanden werden. Denn in der Tat trägt Gerd Rohling das Schornstein-Relikt mit beiden Händen durch die Stadt – manchmal auch nutzt er zur Entlastung des eigenen Rückgrats eine Schubkarre.
Er wuchtet den Kamin sowohl in die Straßen- als auch in die U-Bahn, wartet, neben dem Schornstein stehend auf den Bahnsteigen und trägt das Fragment der Erinnerung an eine frühere Stadt an den Silhouetten des heutigen Berliner Wedding vorbei.
In der fotografischen Dokumentation dieses Erinnerung durch die Stadt tragenden Vorgangs entstehen Bilder von skurril-absurder Alltäglichkeit, wie sie charakteristisch sind für das Werk Gerd Rohlings. In der ganz eigenen künstlerischen Handschrift Rohlings, in einer nah der Prosa des Alltags sich anschmiegenden Poesie künstlerischer Aktion, umkreist das Projekt Themen, die diese Stadt aktuell aufwühlen. Dabei sei hier nur die Zerstörung der Stadtteile durch Abriss intakter Viertel und ihren gentrifizierenden Ersatz durch hochmoderne und für die Altanwohner unbezahlbare Gebäude genannt. Dass sich über die Zeit, die gerade eröffnete architektonische Debatte durchsetzen möge, die für die vorsichtige Umgestaltung bestehender Bausubstanzen plädiert, davon träumt die Aktion Gerd Rohlings in den Bildern seiner Kunst. Denn in allem, was dieser Künstler beginnt, formuliert er die Möglichkeitsformen der Existenz, ergänzt er mit seinen Bildern die vermeintlich unumstößlich herrschende Wirklichkeit und schafft so neue Bilder einer Realität, die den Fluchtpunkt einer anderen Welt aufscheinen lassen.
Text von Carsten Ahrens
O P E N BERLIN
Prinzenallee 35, 13359 Berlin
A project space by
Amélie Esterházy
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